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Befristung und Verfall des Anspruchs auf Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen auch bei Rückwirkender Anerkennung der Schwerbehinderung durch die Behörde

Montag, 26.08.2024 | Person: Thomas Brinkmann

Mit Urteil vom 26.04.2022 – 9 AZR 367/21 – hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) sich noch einmal ausführlich mit dem Anspruch und Verfall des Zusatzurlaubs für schwerbehinderte Menschen nach § 208 neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) befasst. Hierzu hatte das BAG ausgeführt, dass der Anspruch auf Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen grundsätzlich nur dann gemäß § 7 Abs. 3 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) mit Ablauf des Urlaubsjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraums erlischt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer durch Erfüllung seiner Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten in die Lage versetzt hat, den Urlaubsanspruch zu verwirklichen.

Sachverhalt

In dem vom BAG zu entscheidenden Sachverhalt ging es insbesondere um den rückwirkenden Anspruch des Arbeitnehmers auf Zusatzurlaub nach dem SGB IX, nachdem der Arbeitsnehmer den Antrag auf Anerkennung der Schwerbehinderung gestellt hatte und den Arbeitgeber über die Ablehnung des Antrages durch Bescheid vom 24.11.2017 informiert hatte. Erst im März 2019 hatte der Arbeitgeber Kenntnis davon, dass der Arbeitnehmer erfolgreich das Widerspruchs- und Klageverfahren geführt hatte, welches mit der Anerkennung der Schwerbehinderung durch die zuständige Behörde beendet wurde. Der Arbeitnehmer hatte in dem Klageverfahren gegen den Arbeitgeber beantragt festzustellen, dass ihm für die Jahre 2017 und 2018 zusätzlicher Urlaub für Schwerbehinderte Menschen von 7 Tagen zusteht. Nach Auffassung des Arbeitgebers war der Zusatzurlaub mit Ablauf des jeweiligen Urlaubsjahres verfallen.

Hierzu hatte das BAG entschieden, dass der Anspruch auf zwei Tage Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen aus dem Jahr 2017 bestand. Der im Umfang von 5 Tagen entstandene Zusatzurlaub aus dem Jahr 2018 sei mit Ablauf des 31.12.2018 nach § 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG verfallen.

Die Befristung des Anspruchs auf Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen nach § 208 Abs. 1 S. 1 SGB IX setzt, wie die des gesetzlichen Mindesturlaubs, nach Feststellung des BAG grundsätzlich voraus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer durch Erfüllung seiner Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten in die Lage versetzt hat, den Urlaubsanspruch zu verwirklichen. Dem Arbeitgeber ist regelmäßig die Berufung auf die Befristung und das Erlöschen des Zusatzurlaubsanspruchs versagt, wenn er seine Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten in Bezug auf diesen Anspruch nicht erfüllt hat. Hat der Arbeitgeber aber keine Kenntnis von der Schwerbehinderung des Arbeitnehmers und ist diese nicht offenkundig, verfällt der Anspruch auf Zusatzurlaub auch dann gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG mit Ablauf des Urlaubsjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraums, wenn der Arbeitgeber seiner Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht nachgekommen ist. Unter diesen Fortsetzungen hatte der Arbeitgeber nach Auffassung des BAG keinen Anlass, vorsorglich auf einen Zusatzurlaub hinzuweisen und den Arbeitnehmer aufzufordern, diesen in Anspruch zu nehmen. Entsprechendes gilt, wenn der Arbeitnehmer einen Antrag auf Anerkennung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch gestellt hat, ohne seinen Arbeitgeber darüber zu unterrichten und ohne, dass die Schwerbehinderung offensichtlich ist. Der Arbeitgeber kann erwarten, dass sein Arbeitnehmer ihm mitteilt, einen Antrag auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch gestellt zu haben, wenn er den Zusatzurlaub wahrnehmen möchte. Unterlässt der Arbeitnehmer die Mitteilung, kann er seine Rechte aus § 208 Abs. 1 S. 1 SGB IX nach erfolgter Anerkennung nach Ablauf der gesetzlichen Verfallfristen nicht mehr in Anspruch nehmen. Unterrichtet der Arbeitnehmer den Arbeitgeber aber über seinen (noch nicht beschieden) Antrag auf Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft, setzen Befristung und Verfall des Anspruchs auf Zusatzurlaub grundsätzlich die Erfüllung der Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten durch den Arbeitgeber voraus. Da der Anspruch auf Zusatzurlaub schon vom Zeitpunkt der Schwerbehinderung an und nicht erst nach behördlicher Feststellung besteht, muss der Arbeitgeber ab Kenntniserlangung vom Anerkennungsverfahren damit rechnen, fortan Ansprüchen des Arbeitnehmers auf Zusatzurlaub ausgesetzt zu sein und kann sein weiteres Verhalten darauf ausrichten. Auf die Unterrichtung kann der Arbeitgeber, wenn er ebenso wie der Arbeitnehmer vom Vorliegen der Schwerbehinderung ausgeht, bereits im Vorgriff auf eine von ihm erwartete positive Entscheidung der zuständigen Behörde seiner Initiativlast gerecht werden, indem er den Arbeitnehmer auffordert, Zusatzurlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteilt, dass der Zusatzurlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfällt, wenn er ihn nicht beantragt.

Entscheidung

Wird der Antrag auf Anerkennung der Schwerbehinderung zunächst durch behördlichen Bescheid zurückgewiesen und die Schwerbehinderung später aufgrund eines vom Arbeitnehmer eingelegten Rechtsbehelfs oder Rechtsmittels rückwirkend festgestellt, hängt die Befristung und der Verfall des Zusatzurlaubs vom Kenntnisstand des Arbeitgebers ab. Hat der Arbeitnehmer den Arbeitgeber unverzüglich über die ablehnende Entscheidung der zuständigen Behörde sowie über die (beabsichtigte) Einlegung eines Rechtsbehelfs unterrichtet, setzt die Befristung des Urlaubsanspruchs weiterhin die Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten voraus. Andernfalls verfällt der Zusatzurlaub auch ohne Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers nach § 7 Abs. 3 BUrlG mit Ausnahme des Urlaubs, über den der Arbeitgeber den Arbeitnehmer bis zur Ablehnung hätte belehrt haben müssen. Das BAG weist darauf hin, dass es dem Arbeitnehmer obliegt, den Arbeitgeber unverzüglich über die ablehnende Entscheidung der zuständigen Behörde und darüber zu informieren, dass er gegen den ablehnenden Bescheid Rechtsbehelf eingelegt hat oder dies beabsichtigt. Dem Arbeitnehmer obliegt es, den Arbeitgeber in die Lage zu versetzen, auf dieser Grundlage zu entscheiden, ob er dem Arbeitnehmer vorsorglich Zusatzurlaub gewähren und seine entsprechende Mitwirkungsobliegenheit erfüllen will, um sich gegebenenfalls später auf den Verfall nicht in Anspruch genommener Urlaubsansprüche berufen zu können.

Fazit

Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass der Arbeitnehmer den Arbeitgeber vorsorglich für den Erhalt des Anspruchs auf Zusatzurlaub nach dem Schwerbehindertenrecht über den jeweiligen Stand des laufenden Feststellungsverfahrens zur Schwerbehinderung informieren sollte, damit der Arbeitgeber sich nicht möglicherweise auf den Verfall des Anspruchs berufen kann. Der Arbeitgeber sollte den Arbeitnehmer vorsorglich auf den ihm möglicherweise zustehenden Zusatzurlaub hinweisen und seine entsprechende Mitwirkungsobliegenheit erfüllen, damit er sich später auf den Verfall nicht genommenen Urlaubs durch den Arbeitnehmer berufen kann.

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